Seit Jahrzehnten gibt es einen Kampf um die Darstellung der Geschichte Österreichs – nicht nur die Zeit des Austrofaschismus und die Zeit des Nationalsozialismus betreffend. In diesem Zusammenhang geht es nicht nur seit den 1980er Jahren um das Haus der Geschichte Österreich, sondern es beginnt bei den Lehrveranstaltungen an den Universitäten (auch denen, die nicht gehalten wurden), dem Geschichtsunterricht in Schulen, der Benennung von Straßen, Plätzen, Denkmälern, Landesliteraturarchiven etc.
Die ÖVP, aber auch PolitikerInnen anderer Parteien lieferten sich einen Kampf mit jenen seit Jahrzehnten, die sich um Erinnern, Wissenschaft bemühen. In diesem Kontext ist es nur konsequent, den polemischen Text von Robert Menasse zu löschen, ihn zu diskreditieren. Oder sich als funktionale Analphabeten zu erweisen.
Das ist aber nicht die ÖVP schlechthin, denn es gibt auch Politiker der ÖVP, die sich um Aufklärung bemühen, Rahmenbedingungen dafür schufen. Und es wird hoffentlich die Zeit kommen, das einmal im Detail darzustellen: die Zensur der Universität Innsbruck, die Zensur der Universität Wien, die Zensur der Universität Salzburg, die Geschichte des Franz-Nabl-Instituts etc. – die Ablehnung der österreichischen Literatur, der österreichischen Geschichte. Und es wird darüber hinausgehen müssen: die Geschichte der Nicht-Wahrnehmung von Möglichkeiten wie den offenen Suchmaschinen, der Quantentechnologie etc. als Folge eines Autoritarismus, der im Interesse einer Minderheit handelt.
Die Unanständigkeit beginnt daher nicht bei der Löschung der Polemik von Robert Menasse, sondern diese ist nur ein Teil der allgemeinen Unanständigkeit dessen, was anderen angetan wurde und wird. Eine Leidzufügung, die sich heute angesichts der Kinder von Moria wiederholt, den unnotwendigen Arbeitslosen, der Drangsalierung jener, die arm und ohne Arbeit sind.
Polemik ist in diesem Fall eine notwendige Form der Reaktion. Sie wird herausgefordert von jenen, die Schweigen, Löschung, gesellschaftliche Erinnerungslosigkeit organisieren. Polemik ist eine legitime Form der Gegenwehr, die sich im Angesicht von hässlicher Macht schon vor Jahrtausenden etabliert hat. Sie ist legitim und zu unterscheiden von Hassreden, Fake News, der versuchten Steuerung der Globalen Öffentlichkeit durch Geheimdienste, der Lügenpropaganda von Goebbels etc.
Polemik wird herausgefordert durch die Konzentration der Politik auf Interessen einer Minderheit. Menasse spricht von 30% in Wien. Das ist etwa das Potential, das seit den 1970er Jahren von der Forschung immer wieder angeführt wird. Blümel versucht offenbar, die Stimmen seiner Partei zu verdoppeln, indem er die Stimmen aus diesem Pool gewinnt. Damit begibt er sich in eine strategische Position, in der die ÖVP weder in Wien noch im Bund mehrheitsfähig ist. Denn er gewinnt ja nicht nur Stimmen dazu, sondern er verliert auch Stimmen durch diese Vorgangsweise – die Stimmen von jenen Katholiken, Konservativen, Bürgerlichen etc., die diese Art von Politik als unanständig ansehen.
Rund 20% an Stimmen auf diese Weise in Wien zu bekommen, müsste daher als eine strategische Niederlage gedeutet werden, die freilich nicht nur auf Unanständigkeit zurück geht. Vielmehr geht es darum, welche Schäden Wien auch in seiner Verantwortung als Finanzminister zugefügt wurden. Er hat nicht wirklich Lösungen anzubieten. Kann ja sein, dass er sich diese für die Koalitionsverhandlungen aufspart. Irgendeinen Grund wird er ja haben, dass er annimmt, dass eine Koalition mit der SPÖ nach diesem Wahlkampf möglich sein sollte. Aber das wäre kein ehrliches Werben, sondern ein unanständiges Werben, weil Blümel nicht offen den WählerInnen bekannt gibt, mit was sie nach der Wahl zu rechnen haben.
Diese Vorgangsweise bewirkt, dass Menschen leiden. Eine Politik, die Leid von Menschen in Kauf nimmt, ist nicht anständig. Sie ist auch nicht mehrheitsfähig in dem Sinne, dass eine derartige Politik mehrheitsfähig wäre. Gezeigt hat sich, dass politische Mehrheiten, die durch Täuschungen zustande kamen, in der Folge zu Gewalt führen und führten und dann versucht wird, die Ursachen der Gewalt zu leugnen – die Leugnung zu organisieren im Rahmen von Institutionen.
Vielleicht ist die Kolportage der Möglichkeit, dass die SPÖ in Wien die absolute Mehrheit erlangt, nur ein wahltaktisches Manöver der ÖVP. Vielleicht aber wünschen die WählerInnen sich auch, dass die Politik der Machtspiele beendet wird und die Lösungen von Problemen in den Vordergrund treten. Und da gibt es mit Blümel einige grundsätzliche Probleme (Wahrnehmung von Zahlen – siehe Budget -, von Regeln – siehe Brüssel -, von Texten – siehe Menasse), die mit Löschungen nicht gelöst werden können- auch im Nachhinein nicht, wenn es um die Geschichtsschreibung gehen wird.